Mittwoch, 23. September 2009

22. und 23.9.2009 - Allerlei und Exkursion

22.9.2009


Heute bekam ich endlich eine Gitarre und konnte die 17- und 18-Jährigen mit den einmaligen deutschen "Fegern" und Songs wie "Komm, hol das Lasso raus" und "Ein kleiner Matrose" zum Mitsingen und Mitmachen animieren. Es war einfach ein Spaß zu sehen, wie motiviert sie bei der Sache waren.

Oiso, i find des super! ;-)

Mit der 12. Klasse habe ich "An allem ist die Katze schuld", einen kurzen, schrägen Sketch erarbeitet, und so wird es am Donnerstag gemeinsam mit der 11. und 10. D-Klasse eine kleine Theateraufführung geben, worauf ich schon sehr gespannt bin.

Das Ende der Pausen wird hier übrigens zweimal eingeläutet und zwar mit einer netten Melodie, was ich für durchaus nachahmenswert empfinde. Hingegen durchdrang beim gestrigen Feueralarm ein ohrenbetäubender Ton das Schulgebäude. In diesem Fall mussten sich alle Schüler/innen draußen bei ihren Lehrer/innen klassen- und gruppenweise versammeln, was äußerst gut funktionierte. Später stellte sich heraus, dass es kein Probe-, sondern ein falscher Alarm war, der von einem Schüler ausgelöst worden war. Der Direktor war ziemlich wütend, weil die Schule für das unnötige Ausrücken der Feuerwehr bezahlen muss.

Apropos Pause: Ich habe schon geschrieben, dass in drei Etappen gegessen wird. Und das geht wirklich total schnell. Kurz bevor die Pause beginnt, stellt das Küchenpersonal das Essen auf die Tische, die Kinder wissen, wo sie sitzen, und so sind sie meistens nach 10 Minuten schon wieder fertig. Es ist übrigens gratis und auch Lehrer/innen machen von dem staatlich kontrollierten und nach einem Ernährungsplan abgestimmten Essen Gebrauch. Am Ende tragen alle ihr Geschirr zurück und gehen wieder in die Klassen.

Das System der sog. E-Kool, der E-Schule, des elektronischen Klassenbuches wird hier, wie bereits in der Mehrheit der estnischen Schulen, schon seit Jahren eingesetzt. Gab es anfangs wie überall Widerstände und Zweifel in der Lehrerschaft, so sehen es heute die meisten Kolleg/innen doch als sehr sinnvoll an. Es entfällt die Schreiberei im Klassenbuch, das oft nicht auffindbar ist. Voraussetzung ist aber in jeder Klasse ein Computer, wo man sich im System einloggen muss. Die unterrichtenden Lehrer/innen können nun entweder gleich bzw. auch zu Hause die Fehlenden, den durchgenommenen Stoff, die Hausaufgaben und ev. Prüfungen, Termine, etc. eintragen. Die Eltern haben (ebenso wie die Kinder und Jugendlichen selbst) die Möglichkeit, sich über die Leistungen ihrer Sprösslinge Informationen einzuholen, was HÜ ist, ob sie in der Schule waren, usw. Natürlich werden jetzt manche sagen, ja, aber die Eltern, die nicht wollen, erreicht man nicht.... Das stimmt natürlich zum Teil, aber vielleicht schauen manche doch rein, und interessierte Eltern können sich so auch abgesehen vom Sprechtag ein Bild über ihr Kind machen.

Am Abend war ich bei Kai, der Psychologin, und ihrer Familie zum Essen eingeladen. Die Küche unterscheidet sich übrigens, wie vielleicht schon erwähnt, nur sehr wenig von unserer und der deutschen, die bedingt durch die Geschichte einen starken Einfluss auf die estnische hatte. So sind Blutwurst, Schweinsbraten und Schnitzel ganz bekannte und beliebte Gerichte. Bei ihr gab es kalte Küche mit kleinen Häppchen - und zu meiner Überraschung auch eine Einladung in die Sauna. Später kamen noch die Geschichtslehrerin und deren Mann zu Besuch und es entwickelte sich ein interessantes Gespräch über das Elva-Gymnasium und das estnische Schulsystem an sich. Den 10-minütigen Heimweg trat ich bei leichtem Nieselregen (laut Reiseführer gibt es hier zw. 160 und 180 Regentage pro Jahr - was bin ich doch für ein Glückspilz) zu Fuß an, weil die Esten eine 0,0-Promillgrenze haben, und sich die Leute, auch aufgrund hoher Strafen, strikt daran halten - zumindest diejenigen, mit denen ich Kontakt hatte. Einer der Gäste erzählte zum Beispiel, dass er bei einer Kontrolle einmal 0,09 hatte, also zu viel, und dafür 1500 Kronen (ca. € 110,-) zahlen musste.


23.9.2009

Der heutige Tag war mit einer ganztägigen Exkursion der äußerst netten 12. Klassen, die ich begleiten durfte, ausgefüllt. Die Hälfte der Kosten übernimmt die Schule.

Wir fuhren zuerst zu einem abgelegenen Bauernhof namens Tammsaare in Mittelestland .
Dort war der hier in Estland sehr berühmte Schriftsteller Anton Hansen aufgewachsen, später fügte er seinem Namen noch das Tammsaare hinzu, unter dem er dann auch berühmt wurde. Sein bekanntestes Werk, das auch alle Schüler/innen zumindest teilweise lesen müssen, heißt "Wahrheit und Gerechtigkeit" und gliedert sich in 5 Bände. Hansen beschreibt das harte bäuerliche Leben anfangs des vorigen Jahrhunderts, über die Feindschaft mit Nachbarn, die Sorge um eine Nachfolge, weiters über das Schulleben, die russische Revolution, das Leben in der Stadt und die Rückkehr auf den Bauernhof, aber auch über die Liebe, die Natur, Gott und die Welt. Im Museum kann man auf den Spuren der damaligen Zeit wandeln. Es sieht so aus, wie auf den Bauernhöfen bei uns vor etwa 100, 150 Jahren.

Auf dem Foto seht ihr eine typische Dorfschaukel, wie sie auch heute noch zu finden sind, die für die Burschen der 12. Kl. eine willkommene Abwechslung darstellte.




Beim 2. Teil, es stand eine Molkerei bzw. ein Milchmuseum am Programm, zog ich das Kaffeehaus vor, weil ich den Geruch nicht aushalte.



In den Gesprächen mit den beiden Begleitlehrerinnen bzw. aus dem englischen Estlandbuch erfuhr ich folgende interessante Dinge: Wie bereits berichtet, lieben die Esten das Singen, auch viele junge Leute sind in einem Chor. So wurden auch in der Okkupationszeit der Russen (auf die niemand, den ich getroffen habe, gut zu sprechen ist) die alten Lieder beibehalten, wobei viele davon verboten waren. Lobpreisungen des Kommunismus waren angesagt. Ein Kuriosum am Rande: Beim 100-jährigen Sängerfest 1969 mussten alle Kornblumen (Nationalblume der Esten) umgespritzt werden - die Russen befahlen, dass sie rot sein mussten. Kein Wunder also auch, dass 1988 der Keim zur Unabhängigkeit bei einem Sängerfest gelegt wurde, als es zur größten Massenveranstaltung in Estland kam. 300.000 Menschen (1/3 des Landes) versammelten sich und sangen die eigenen Lieder. Dies fand als "Singende Revolution" Einzug in die Geschichtsbücher des Landes. Aber erst im Aug. 1991 war Estland dann endgültig frei.

Apropos Russen: Vor dem 2. Weltkrieg war der Anteil der Esten im Land bei 88%, er sank während der Integration ins Sowjetregime auf unter 60% (bedingt durch Deportationen auf der einen Seite und aggressive Besiedelungspolitik durch russische Arbeiter im Land) und heute hält man bei etwa 80%.

Zum Schluss der heutigen Estlandnachhilfestunde vielleicht noch ein Detail am Rande, was die Sprache betrifft: Im gesprochenen Estnisch gibt es 45% Vokale! Die Sprache wirkt daher relativ melodiös.